Musik – die inklusivste Sprache der Welt

Bunte Noten und ein bunter Notenschlüssel tanzen auf den bunten Notenlinien; oben links Störer "Annes Blog"; oben rechts Logo Papenmeier RehaTechnik; unten Text "Musik – die inklusivste Sprache der Welt"

Am 01.08. jeden Jahres ist der Tag des Kanons. Ein Kanon ist ein mehrstimmiger Gesang, bei dem eine Stimme nach der anderen einsetzt. Die erste Stimme wird von den anderen Stimmen genau kopiert. So kann man einen Kanon singen, bis die Stimme versagt oder jemand vorher ein Ende definiert. Beispiele für Kanons sind „Happy birthday to you“ oder „viel Glück und viel Segen“.

Schon sind wir mitten im Thema: Der Musik.

Es gibt wohl kaum etwas Vielfältigeres, Internationaleres oder Inklusiveres. Musik kann einen zur Verzweiflung bringen, wenn man ein Stück übt, was einfach nicht gelingen will oder wenn man einen Song hört, der traurig oder wütend macht, weil bestimmte Erinnerungen wach werden. Vor allem aber bedeutet sie für mich Freude, Trost und Glück.

Während der Corona-Lockdown-Zeit war mir das Musizieren eine große Hilfe. Fast täglich spielte ich Saxophon und probierte alle möglichen Genres aus: Jazz, Swing, Pop, manchmal auch Klassik. Da sich die Band, in der ich singe und Saxophon spiele, nicht zum Proben treffen durfte, begann ich mit einem sehr guten Freund und Bandmitglied, der Ukulele und Bass spielt, zunächst online zu musizieren. Torsten schickte mir die Akkorde, ich spielte Saxophon dazu. Danach wurden Cajon und Bass ergänzt. Mein Mann, unser Hobbytontechniker, mischte das Resultat geduldig und feinfühlig ab. Auf diese Weise entstanden unsere ersten Songs. Als wir uns endlich wieder live treffen konnten, war das Musik machen um so schöner. Es entstanden auch die ersten Eigenkompositionen und am Ende des Jahres 2020 entstand sogar ein Album, das wir „Momente“ nannten, denn immer, wenn ein Song fertiggestellt worden war, löste dies bei uns ein Hochgefühl aus – einen Glücksmoment. Wer Lust hat, in unsere Stücke hineinzuhören, dem sei folgender Link auf Soundcloud empfohlen:

https://soundcloud.com/user-769348490

Das Spielen vor Publikum empfinde ich heute zum einen als Herausforderung, zum anderen als große Bereicherung, sowohl für den Musiker als auch – hoffentlich - für die Zuhörer.

Als Kind spielte ich hin- und wieder in Gottesdiensten oder auf Feiern Blockflöte. Ehrlich gesagt habe ich es damals nicht gerne gemacht. Meine Angst, nicht gut genug zu sein, war groß. Ich musste fleißig üben, damit ich die Stücke zum jeweiligen Zeitpunkt auswendig und möglichst fehlerfrei aufführen konnte. Genauso erging es mir, wenn ich irgendwo vorgesungen oder Klavier/Gitarre spielte. Ich kann mich noch gut an ein Vorspiel bei meiner damaligen Klavierlehrerin erinnern, die alle ihre Schüler einlud, in lockerer Atmosphäre etwas zum besten zu geben. Ich wollte auf dem Klavier die Akkorde zu Cyndi Laupers Hit „Time after Time“ spielen und dazu singen. So der Plan. Mir klopfte das Herz bis zum Anschlag und der Gesang kam nur sehr verhalten und leise. Verspielt habe ich mich sicher ständig, da meine Finger feucht waren und mir nicht recht gehorchten. Ein klassischer Fall von starkem Lampenfieber. Vor Verwandtschaft zu spielen, war für mich am schlimmsten. Ich hatte Angst sie zu enttäuschen, wenn ich das, was ich eigentlich zu leisten imstande war, nicht zuwege brachte.

Im Chor singen und auftreten war dagegen kein Problem. Ab und zu sang ich sogar  solo und es bereitete mir keine Angst, sondern Spaß, wenn wir bei einem Geburtstagsfest, in der Kirche oder bei anderen Gelegenheiten vor Publikum sangen. Saßen wir nach den Aufführungen  zusammen, quatschten, aßen und tranken etwas feines, war die Sache perfekt. In der Gruppe war es völlig gleichgültig, welche Hautfarbe oder Beeinträchtigung jemand hatte oder aus welchem Land sie/er kam, Wir bildeten eine Gemeinschaft, die ein gemeinsames Hobby hatte: das miteinander Singen.

Nach der zehnten Klasse absolvierte ich ein Schuljahr an der „Overbrook School for the Blind“ in Philadelphia. Ich nahm an einem „internationalen Programm“ teil. Blinde und sehbehinderte Jugendliche aus 17 verschiedenen Ländern kamen zusammen, die nicht nur gemeinsam zur Schule gingen, sondern auch gemeinsam musizierten. So bestand der Schulchor aus Sängerinnen/Sängern unterschiedlicher Nationen. Neben amerikanischen Songs lernten wir Lieder aus den jeweiligen Herkunftsländern der Teilnehmer kennen, welche wir im Weihnachts- und Frühlingskonzert zum besten gaben. Im „Bell Choir“ musizierten wir mit diversen Handglocken und ich hätte nicht gedacht, dass man auf diese Weise so vielfältige und schöne Stücke, von Klassik bis Pop, spielen konnte.    

Ende 2010 erfüllte ich mir einen langgehegten Traum: Ich lernte Saxophon spielen. Wie ich in einem anderen Artikel erwähnte, war es am Anfang gar nicht leicht, an eine Lehrerin/einen Lehrer zu kommen. Die städtische Musikschule konnte sich nicht vorstellen, eine blinde Schülerin zu unterrichten, der man nicht einfach ein Notenblatt unter die Nase halten konnte. Meine Argumente, man könne mir die Stücke auf mein Diktiergerät spielen und ich würde sie auf diese Weise lernen oder ich könnte ebenso Noten in Braille aufschreiben, wurden nicht erhört. Ich gab nicht auf und versuchte es an privaten Musikschulen. Nach einiger Zeit meldete sich die Chefin einer Einrichtung und fragte: "Wann soll ich zur Probestunde bei Ihnen vorbeikommen? Und welches Saxophon möchten sie ausprobieren? Alt oder Tenor?" Ich entschied mich für Alt, weil ich gehört hatte, dass man in der Regel damit anfing. Die Probestunde verlief erfolgreich und kurz darauf begann der Unterricht, den ich einige Jahre nahm.

Heute spiele ich sowohl Alt- als auch Tenor und Sopransaxophon. Jedes Instrument hat seine Eigenheiten und zeichnet sich auf seine Weise aus. Es macht großen Spaß, darauf zu spielen, Neues zu lernen und auszuprobieren.

Aus meiner Angst vor Auftritten ist Freude geworden. Durch gute Gespräche, u.a. mit meinen Verwandten und einer anderen Herangehensweise habe ich spaß daran, Menschen mit Musik zu unterhalten, sowohl mit Hilfe von Playbacks, zu denen ich spiele als auch mit anderen Musikern, die mich enorm bereichern!

Auf einem "Family and Friends"-Konzert unserer Band im Februar 2020 spielten wir den Pink Floyd-Klassiker "Wish you were here". Eigentlich kommt in diesem Song kein Saxophon vor. Wir arrangierten den Titel so, dass ein Sax-Solo hineinpasste. An der entsprechenden Stelle wollte ich mit dem Ton Gis starten und es kam nur ein G heraus. Die Gis-Klappe klemmte, ein häufiger auftretendes Phänomen bei Blasinstrumenten wie Saxophon oder Klarinette. Ich mogelte mich durch die Solopassage und dachte: "Da muss ich jetzt irgendwie durch." Das Gis zu umgehen erwies sich als ziemlich schwierig und das Solo klang - nennen wir es - anders als erwartet. Nach dem Stück moderierte ich wie folgt: "Wenn das Saxophon vorhin etwas komisch klang, die Gis-Klappe klemmte. Sorry." Jemand aus dem Publikum rief: "Was hat geklemmt? Die Gipsklappe?" Erleichtertes Lachen unsererseits und seitens der Zuschauer. Vor dem nächsten Stück kam meine Ansage: "So, jetzt mit ohne Gipsklappe." Diese überprüfe ich nun vor jedem Auftritt.

Am Schluss des Konzertes gaben wir „Over the rainbow“ zum besten. Torsten spielte Ukulele, ich sang. Natürlich gehört eine gewisse Aufregung dazu, aber es war und ist ein tolles Gefühl, das Publikum „in der Hand“ zu haben und zu wissen, dass der berühmte Funke überspringt.  

Im Juni machte es mir großen Spaß, auf unserem Firmensommerfest Saxophon zu spielen. Als wir vor drei Wochen im Urlaub in den Bregenzer Wald fuhren, musizierte ich auf der Terrasse des Bergrestaurants unserer österreichischen Freunde. Am Ende eines Auftritts kam eine ältere Dame auf mich zu. "Das muss ich Ihnen sagen", begann sie, "Ihre Musik ist das Highlight meines Urlaubs. Meine Schwester sieht das genauso." Am letzten Tag des Urlaubs spielte ich mehrere Sets. Das Wetter passte ausgezeichnet zur Stimmung. Eine Gruppe Slowaken, die auf Mountainbikes gekommen war, läutete die Kuhglocken, welche sich auf einem Ständer befanden, so wie beim Zieleinlauf der alpinen Skifahrer bei Wintersportwettbewerben. Ein kleines Mädchen drückte mir 50 Cent in die Hand. "Ich wollte dir mehr geben, aber mein Bruder hat sich ein Eis gekauft. Jetzt hab ich nur noch 50 Cent." "Hat er dir von dem Eis wenigstens was abgegeben?", wollte ich wissen. "Nö. Tut der nie." Gab das Kind zurück. "Du bist cool, danke." Erwiderte ich und umarmte sie.

Torsten und ich machen nach wie vor mit Begeisterung Musik und arbeiten an neuen Stücken für unser nächstes Album. Mit der Band haben wir vor kurzem einen Gottesdienst gestaltet. Am 27. August feierte ich mit Familie und Freunden meinen runden Geburtstag. Im Biergarten des Restaurants gaben wir ein kleines Konzert. Sowohl die Band als auch die Gäste hatten großen Spaß an unserer „Performance“. Songs wie „Oh Happy Day“ und „Over the Rainbow“ als Zugabe durften nicht fehlen.     

Im Eurovision Song Contest des Jahres 2002 hieß der Titel des von Corinna May gesungenen deutschen Beitrags "I can't live without music." (Ohne Musik kann ich nicht leben).

Dem stimme ich zu!


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