Home Sweet Home

Text "HomeOffice"+ Foto tippender Hände auf einer Tastatur

Meine Erfahrungen als blinde Papenmeier-Kollegin im Homeoffice

Plötzlich ist es da und treibt im Frühling 2020 mit in die Höhe schnellenden Zahlen sein Unwesen - das Covid19-Virus, schlicht als "Corona" bezeichnet. Menschen stecken sich an und müssen in Quarantäne. Was folgt daraus für zahlreiche Firmen, so auch für etliche Mitarbeiter des Fachbereiches Papenmeier RehaTechnik? Arbeiten im trauten Heim, dem Homeoffice.

Für mich als blinde Produktmanagerin bedeutet das zunächst: Was brauche ich, um adäquat zu Hause arbeiten zu können? Genau wie jeder Sehende - einen Laptop. Dieser muss mit der nötigen Hilfsmittelsoftware wie dem Screenreader JAWS ausgestattet werden. Dazu kommt das Programm BrxCOM, damit das an den Laptop angeschlossene Braille-Notizgerät funktioniert. Standard-Office-Anwendungen wie Outlook, Word oder Excel gehören zur Standardausstattung.

Dann ist er da, der erste Tag im Homeoffice. Den Schreibtischstuhl ersetzt der Sessel im Wohnzimmer. Zwei Hocker vor dem Sessel sowie ein Stuhl daneben bilden den Schreibtisch. Auf einem Hocker thront der Laptop, auf dem anderen das daran angeschlossene Braillenotizgerät. Auf dem Stuhl liegt das Telefon nebst Headset, sowie iPhone und Diktiergerät. Der Braille-Notetaker wandert vom Hocker auf meine Knie, meine Füße auf dem Hocker vor dem Sessel.

Wie gewohnt starte ich Laptop und Braillezeile. Ich öffne Outlook, um meine E-Mails zu checken und kann mir gleich eine Tasse Kaffee holen. Das Herunterladen der Emails dauert um einiges länger als am Arbeitsplatz in der Firma. Das Bearbeiten der Mails sowie verschiedener Dokumente erweist sich anfangs als ungewohnt, weil ich nun anstelle eines Braillledisplays mit 80 Zeichen pro Zeile ein Brailledisplay mit 40 Zeichen pro Zeile nutze. Dabei wackelt das Notizgerät beim Schreiben ein wenig auf den Knien hin- und her. Manche Tasten des Notetakers befinden sich an anderer Position als beim Desktop-PC im Büro, beispielsweise die Windows- oder die Alt-Taste.

Das Telefon klingelt. Normalerweise wird mir im Büro auf der Braillezeile die Nummer des Anrufenden angezeigt da der Rechner mit der Telefonanlage verbunden ist. Nun klingelt es einfach. Ich melde mich also brav mit "Papenmeier Rehatechnik, Kochanek, guten Morgen." "Auch Firma Papenmeier, guten Morgen, Anne", meldet sich mein Kollege am anderen Ende. "Weißt du nicht, wer dran ist?" "Jetzt ja", entgegne ich grinsend. Er stellt einen Kunden zu mir durch, der Fragen zu einem unserer Produkte hat. Ich mache mir Notizen und plötzlich ist das Gespräch weg. Ich habe alles vom Kunden, bloß keine Telefonnummer. Diese hätte ich im Büro auf dem Display meiner Braillezeile gehabt. Also nochmal den Kollegen anrufen. "Hast du die Nummer von Herrn Schmitz?" Von dieser Sorte Namen gibt es zum Glück nur ganz wenige . Nein, hat der Kollege auch nicht. Was tun? Warten, bis der Kunde kurze Zeit später erneut anruft. Sofort notiere ich mir die Telefonnummer und mache dies fortan direkt, verbunden mit dem Sprüchlein: "Geben Sie mir bitte Ihre Telefonnummer? Ich bin im Homeoffice und sehe sie deshalb nicht auf dem Display." Wenn der Kunde erfährt, dass ich blind bin, kommt: "Ja, aber wie sehen sie denn die Nummer überhaupt?" Doch diese Frage ist mir vorher schon oft gestellt worden.

Später ist es technisch möglich, von zu Hause aus auf den Firmenrechner zuzugreifen. Somit kann ich benötigte Dokumente schneller einsehen oder herunterladen.
Eines Tages ist mitten in meiner Arbeit die Braillezeile ohne jede Funktion. Ich ziehe das Kabel aus der Buchse, stecke es wieder ein. Gleiches Ergebnis. Das Telefon klingelt. Ein Kollege ist gerade in meinem Büro und führt die 80iger Braillezeile vor. Ich erzähle ihm mein Problem. "Alles nochmal starten", rät er. Dann hab‘ ich des Rätsels Lösung. Ich melde mich vom Firmenrechner ab und schon ist die Braillezeile wieder funktionsfähig. Da der Kollege meine Firmenbraillezeile vorgeführt hat, ist die "Remote"-Braillezeile lahmgelegt. Ich gebe dem Kollegen Bescheid und logge mich wieder ins Firmennetz ein. Die Braillezeile läuft ohne Probleme.

Mein Mann, der ebenfalls im Homeoffice arbeitet, hat das Zimmer nebenan zum Arbeitsplatz umfunktioniert. So entspinnt sich zwischendrin von Tür zu Tür folgender Dialog:

"Wann wollen wir Mittag essen?"
"So gegen eins".
"Brot oder was warmes?"
"Mir egal."
"Du, besser schnell ein Brot. Hab gleich eine Telefonkonferenz."
"OK, heute Abend Spaghetti. Hab den nächsten Kunden dran."

Ganz gleich, ob kaltes oder warmes Essen: In der Mittagspause kann man sich bei schönem Wetter auf die heimische Terrasse setzen. Anfahrts- und Rückfahrtswege entfallen, sodass man morgens nach dem Frühstück direkt den Rechner hochfahren und loslegen kann. Der Feierabend wird quasi sofort eingeläutet, ohne Rückfahrt. Durch flexible Arbeitszeiten im Homeoffice kommt es gelegentlich vor, dass man abends mal ein Stündchen dranhängt, dafür zwischendurch für eine kurze Pause an die frische Luft geht.

Was im Homeoffice fehlt, ist der "Livetalk" mit Kollegen oder Kunden, die zur Vorführung ins Büro kommen. Vorführtermine müssen nun genau am Telefon abgesprochen werden und die Vorführung erfolgt, wenn der Kunde es wünscht, unter entsprechenden Corona-Schutzmaßnahmen.

Wenn möglich, werden Schulungen ebenfalls telefonisch durchgeführt. Hat der Kunde zum Beispiel ein Vorlesegerät erhalten und es wurde von jemandem aus der Familie angeschlossen, gebe ich dem Kunden am Telefon die nötige Hilfestellung.

Von Kollegen habe ich mehrfach gehört, dass sie sich durch die Arbeit im Homeoffice besser konzentrieren können und nicht ständig abgelenkt werden, wie es im Büro häufig der Fall ist. Zahlreiche Außentermine werden durch Videokonferenzen ersetzt, was sich als äußerst praktisch erweist. Wege für die An- und Rückfahrt entfallen, die einen sonst eine hohen Zeitaufwand bedeuten.

Fazit: Insgesamt komme ich gut im Homeoffice zurecht. An einiges musste ich mich gewöhnen, wie beispielsweise an den etwas anderen Arbeitsplatz oder daran, die Telefonnummer des Anrufers nicht zu sehen.

Da der Mensch generell kein Einzelgänger ist, bin ich froh, dass mein Partner ebenfalls im Homeoffice arbeitet. Aus meinem Bekannten- und Kundenkreis weiß ich, dass alleinstehende Menschen die sozialen Kontakte, welche für jeden wichtig sind, sehr vermissen.

Vorteilhaft ist in unserer Situation, dass wir ausreichend Platz im Haus haben. In einer kleinen Wohnung mit Kindern, die betreut werden müssen, während die Eltern im Homeoffice arbeiten, sieht die Lage ganz anders aus.

Hoffen wir, dass wir alle gesund bleiben und gut durch diese merkwürdige Zeit kommen.


Zurück